Eine Weihnachtsgeschichte: X-Mas im Heartbreak Motel

Anlässlich der besinnlichsten Zeit des Jahres hat sich die Reservix-Redaktion eine kleine Überraschung einfallen lassen. Zur Adventszeit 2024 bringen wir wöchentlich eine Weihnachtsgeschichte heraus, die dich und deine Liebsten in die richtige Stimmung bringt. Nachdem zum 1. Advent „Weihnachtsgeschichte: Rock ’n‘ Weihnachtsmarkt“ erschien, kommt nun: X-Mas im Heartbreak Motel. Wagen wir doch mal einen Blick durchs Schlüsselloch, um herauszufinden, was die Bewohnerinnen und Bewohner des Motels an Heiligabend alleine in ihren Zimmern treiben…

Zimmer Nr. 1: Dichter mit Schreibblockade

Seit dem Tod von Elvis Presley hatte es in Memphis, Tennessee, nicht mehr geschneit. Und jetzt, ein halbes Jahrhundert später, klebten Eisblumen an den Fensterscheiben. Der Dichter starrte mit Erstaunen, versuchte sie mit heißem Atem wegzuhauchen, doch die eisige Botanik zeigte sich gewappnet gegen den zynischen Künstler. Er war nicht immer so – zynisch, sentimental und pessimistisch – gewesen. Ob es das mittlere Alter war, das den Mittelwestler umtrieb oder die Schreibblockade, mit der er sich bereits monatelang herumschlug, blieb ungewiss. Drei Fristen hatte er schon versäumt, die Verlegerin machte ihm Feuer unterm Hintern. Und trotzdem: Ihm wollte, verdammt nochmal, beim besten Willen nichts einfallen.

Bild eines leuchtenden Schildes "No Vacancy" für den Artikel "Eine Weihnachtsgeschichte: X-Mas im Heartbreak Hotel"Er blickte von seinem leeren Blatt Papier auf und erspähte ein Porträt des King of Rock ’n‘ Roll, golden eingerahmt über dem Schreibtisch. Elvis durchbohrte den Dichter mit einem scharfen Blick mitten ins schlechte Gewissen. Seine Augen schwenkten weiter über die schlecht verklebte Tapete des Motelzimmers und eine kahle Glühbirne, die von der Decke hing, bis zur Badezimmertür. Zum Teufel, mir reicht’s, dachte sich der Dichter verbittert. Er gab auf. Und entschied sich stattdessen, in der Badewanne auf den Kuss der Muse zu warten – mit einer kubanischen Zigarre. Eingeschäumt mit einem Stück Kernseife in der Hand, konnte er am besten nachdenken.

Zimmer Nr. 7: Die Witwe und Mouchette

Aus dem pastellgelben Pocketradio tönte „Blue Moon“ von Elvis Presley. Auf dem Federbett des Motelzimmers Nr. 3 lag die Witwe, von Kopf bis Fuß in einen kirschroten Wollanzug gekleidet – frisiert und geschminkt. Es war spät in der Nacht, sie war nicht allein. Um sie herum stolzierte Mouchette mit grazilen Kreisbewegungen. Ihr Fell war so hell, dass man die Perserkatze im Schneegestöber vor der Tür niemals wiederfinden würde – so makellos war die treue Begleiterin der Witwe. „Blue moon, You saw me standing alone, Without a dream in my heart, Without a love of my own, Blue moon.“, summte sie leise mit. Ihre rot lackierten Zehen wippten zur Melodie, hin und her, hin und her. Es war besinnlich im Halbdunkel des Zimmers. Aber auch einsam.

Plötzlich, inmitten der Besinnlichkeit, hörte die Witwe einen donnernden Lärm. „Was zum Teufel,“ rief sie rhetorisch aus vollem Halse. Die Witwe trat barfuß aus ihrem Zimmer und schaute im grünen Flur des Heartbreak Hotels zur rechten, dann zur linken Seite. Sie konnte nicht erkennen, woher der Lärm stammte, der mit jeder Sekunde lauter und lauter zu werden schien. Die Witwe stampfte los, vorbei am Zimmer 6, 5, 4, 3, 2 und Bingo! Sie blieb vor dem Motelzimmer Nr. 1 stehen, räusperte sich und klopfte dann entschieden an die Tür. Schritte waren zu hören, dumpfe Schritte, die auf und abgingen. Dann, schließlich, stand ein völlig durchnässter Mann, mittleren Alters, in rot karierten Badehosen vor ihr.

Bild eines alten Hotelflurs für den Artikel "Eine Weihnachtsgeschichte: X-Mas im Heartbreak Hotel"

Die Witwe schaute dem Dichter tief in die Augen. Zwischen seinen Zähnen hatte er eine kubanische Zigarre geklemmt. Sie blickte über seinen Kopf hinweg und entdeckte den blinkenden, tobenden Rauchmelder. „Sie sind also der gottlose Unruhestifter,“ stellte sie fest und legte mit den Beschuldigungen los: Was ihm denn einfiele, sich in einem Nichtrauchermotel eine Zigarre anzustecken und überhaupt, wie er halbnackt einer Dame die Tür öffnen könne. Er setzte mit ein, zuerst um sich zu verteidigen, dann legte auch er los, warum sie sich denn in seine Gelegenheiten einmische und woher er wissen solle, dass eine so schöne Dame spät nachts vor seiner Tür stehen würde. Die Witwe verstummte. Ein kleines Lächeln machte sich in ihrem linken Grübchen breit. Der Dichter hob, zum Zeichen seines Verzückens, seine buschigen Augenbrauen. Als genau in diesem Moment Mouchette an den beiden vorbeistürmte, in Richtung Ausgang. Die Witwe hatte ihre Zimmertür offengelassen.

Draußen vor der Tür: Was der Bellboy mit all dem zu tun hat

Er pustete Ringe aus Rauch in die Luft und redete sich ein, sie seien ein Treuegelöbnis an das Universum und die sternverhangene Nacht. Der Bellboy paffte mit Genuss seine Mitternachtszigarette. Seine Schicht wäre um 7 Uhr morgens vorbei. Genau zur richtigen Zeit, um durch den Schnee nach Hause zu seinen Eltern und Schwestern zu stapfen und dort mit einer heißen Schokolade den Weihnachtsmorgen zu feiern. Er ärgerte sich nicht, dass er auch zu Heiligabend arbeiten musste. Im Gegenteil, er genoß die stille Einsamkeit. In Gedanken versunken, spürte er plötzlich etwas flauschiges an seinem Knöchel. Mouchette umschmeichelte ihn, schnurrte vergnügt und bequem.

Der Bellboy hob das schöne Tier in seine Arme, als eine verschwitzte alte Frau in rotem Kostüm und ein halbnackter Mann mit Zigarre vor ihm auftauchten. „Wollen Sie etwa, dass meine Katze sich eine Nikotinvergiftung einfängt?“, fragte die Witwe. Die Stimme brach ihr beinahe weg. „Und außerdem, ich dachte dies sei ein Nichtrauchermotel?“ Sie schauten sich an, der Dichter und der Bellboy, und schmissen Zigarette und Zigarre draußen vor die Tür, wo sie im Schnee versanken. „Möchten Sie Eierpunsch?“, fragte der Bellboy. Die beiden Gäste schauten skeptisch. Schlagsahne hab ich auch, fügte er hinzu. Es ist doch schließlich Weihnachten. 

Eine Stunde später saß das Quartett in bester Laune auf dem Teppichboden der Lobby. Mouchette schlief im Schoß des Bellboys. Der Dichter, mittlerweile mit Bademantel bekleidet, hat seinen Arm um die Witwe gelegt. Diese lachte lautstark, mit Eierlikör wurde die Welt allzu lustig. Alles drehte sich, als würden sie tanzen, dabei stand alles still an diesem Heiligabend im Heartbreak Motel in Memphis, Tennessee. Als plötzlich ein Fünfter das Etablissement betrat. Schneeflocken wehten zur Tür herein. Alle Drei blinzelten, doch sie sahen richtig: Vor ihnen stand ein ältlicher Herr in rotem Glitzeroverall, mit schneeweißer Haartolle und verdunkelter Brille. „Das ist doch, ist das nicht?“, fragten der Dichter und die Witwe. „Yep“, sagt der Bellboy, „das ist Frank, der beste Elvis-Imitator in ganz Tennessee!“ Sie luden ihn zu sich auf den Teppich und sangen „Blue Moon“, bis das Morgengrauen einen neuen Tag ankündigte.

 


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Musa

Seit 2017 bin ich Teil des Reservix-Teams. Wenn ich nicht für das Ticketmagazin schreibe, verbringe ich im flackernden Kerzenschein einsame Stunden an meiner Schreibmaschine, um humanistische Liebesgedichte und Fanbriefe an Paul McCartney zu verfassen. Gerne auch zu einem Gläschen Malzbier.