Die feinen Unterschiede: Performance vs. Tanztheater

Personen in dunkler Kleidung von einem Tanztheater oder einer Performance

Ganz bald schon, nämlich am 29. April, ist Welttag des Tanzes! Wir haben uns diesen feierlichen Anlass zu Herzen genommen, um dir eine neue Episode unserer Reihe „Die feinen Unterschiede“ vorzustellen. Heute im Programm: Performance vs. Tanztheater. Mittlerweile füllen beide Genre der darstellenden Künste das Repertoire aller renommierten Theaterhäuser. Zusammen fallen sie unter „Zeitgenössischen Tanz“ – und doch sind Tanztheater und Performance als Darstellungsformen nicht zu vertauschen. Weshalb, das zeigen wir dir hier.

Tanztheater: Storytelling mit Leib und Seele

Zu allernächst lohnt es sich, den Begriff morphologisch in die Komposita „Tanz“ und „Theater“ aufzuteilen. Was auf den ersten Blick banal klingt, birgt die eigentliche Erklärung für das Phänomen „Tanztheater“ in sich. Wenn es um das erste Kompositum Tanz geht, ist vor allem die Unterscheidung zwischen Tanztheater, klassischem Ballett und Gesellschaftstanz von großer Bedeutung. Nicht allein die Darstellungsform, auch die Funktion ist eine andere. Gesellschaftstanz hat einen sozialen Hintergrund, wohingegen Ballett und Tanztheater der Unterhaltung dienen.

Zwischen diesen beiden Formen lässt sich wiederum unterscheiden, dass Ballett in seiner klassischen Form hermetisch verschlossen bleibt. Ein klares Reglement schränkt den Rahmen des Möglichen ein, wohingegen Tanztheater von einer gewissen Freilebigkeit des Bewegungsapparats lebt. Hinzu kommt, dass Ballett in seiner Ästhetik nach dem „Schönen“ strebt – dies lehnt zeitgenössischer Tanz teils sogar gänzlich ab. Zudem wird beim Tanztheater auf eine theatrale Ausdrucksweise gesetzt. So werden Geschichten mit dem Körper erzählt – dies schließt den möglichen Einsatz von Sprache, Pantomime und so weiter aber nicht aus. Auch Bühnen-, Kostümbild und natürlich die Musik spielen eine entscheidende Rolle, sodass es am Ende auf das Gesamtkunstwerk ankommt.

Pina Bausch, Revoluzzerin des zeitgenössischen Tanzes

Eine kurze Geschichte des Tanztheaters: Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts bemühten sich diverse Künstlerinnen und Künstler, mit den Konventionen veralteter Bühnenformen zu brechen. Dies gilt auch für die US-amerikanische Tänzerin und Choreographin Isadora Duncan, die ab 1900 zum sogenannten „freien Tanz“ aufrief. Dies hatte zur Folge, dass man künstlerische, aber auch moralische Darstellungsregeln neu überdachte, so auch die Musikauswahl. In den Folgejahrzehnten gewann der „Ausdruckstanz“ immer größere Bedeutung. Vor allem Mary Wigman und Jean Weidt prägten diesen im Berlin der 1920er-Jahre. Parallel dazu entwickelte sich der Modern Dance in den USA. 

Pina Bausch, Kultfigur der internationalen Tanzszene, gilt heute als die Revoluzzerin des zeitgenössischen Tanzes. Ausgebildet als klassische Ballerina, wirkte Bausch ab den 60ern als Solistin im neu gegründeten Folkwang-Ballett unter Kurt Jooss mit. Schnell assistierte sie dem Choreographen und beeinflusste so zunehmend die Stückentwicklung. Bald übernahm sie die Leitung des Folkwang-Studios. Ihre ersten Arbeiten für die Wuppertaler Bühnen entstanden in dieser Zeit. Ab Spielzeit 1973/74 übernahm sie schließlich die Ballett-Sparte des Theaterhauses, welche Bausch mit Stücken wie „Le Sacre de Printemps“ revolutionieren sollte. Du wolltest Pina Bauschs Tanztheater schon immer mal live auf der Bühne sehen? Dann hast du jetzt die Gelegenheit, „EXIT ABOVE – after the tempest/Nach dem Sturm“ im Opernhaus Wuppertal live zu erleben.

Performance Arts – Ästhetik des Unvorhersehbaren

Diese Darstellungsform, ebenfalls zum zeitgenössischen Tanz zählend, ist mit der Geschichte des Tanztheaters eng verwandt. Und doch ist die „Performance Art“ in ihrer Beschaffenheit etwas völlig anderes. Abgeleitet von dem Verb „to perform“, steht bei der „Performance“ in erster Linie das Hier und Jetzt auf der Bühne im Vordergrund. Vor den Augen der Zuschauerinnen und Zuschauer ergibt sich eine Aufführung – soweit erstmal kein Unterschied zum herkömmlichen Sprech- oder gar Tanztheater. Doch entwickelten sich aus dem Schauspiel und Tanz zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem DADA sowie dem Russischen Konstruktivismus neue Ausdrucksformen. Der Aufbruch in die Moderne fand Ausdruck im Lesen dadaistischer Gedichte oder Live-Darbietungen von Malerinnen und Malern an ihren Leinwänden. Kein Wunder also, dass Jackson Pollocks und de Koonings Action Painting über fünfzig Jahre später der Performance Art einen neuen Anstoß geben würde.

Mit dem Aufkommen der Pop Art wurden sogenannte Happenings im New York der 60er und 70er Jahre immer beliebter. Wenn auch relativ frei in ihrer Realisierung, strebt diese Ausdrucksform vor allem nach Spontanität und Chaos. Im Mittelpunkt steht der Prozess, nicht das Endprodukt. So verwundert es nicht, dass trotz des Credos von Spontanität manche Happenings nach einem sorgfältig gescripteten Ablauf gehen. Das bedeutet, dass der oder die Performerin einen Akt einleitet, das Ergebnis dessen aber unvorhersehbar bleibt. So feiert die Performance Art also allen voran die Genese vor Live-Publikum, wozu jegliche Mittel, seien es Requisiten, Set und Sound Design, Kostüm oder Maske, gestattet sind.

Marina Abramović, Performance Arts als kollektives Ritual

Eine Performance-Künstlerin, welche die internationale Szene ab den 70ern maßgeblich prägen würde, war Marina Abramović. Nach ihrem Studium der feinen Künste in Belgrad und Zagreb, verschlug es die Performerin nach Edinburgh, wo sie 1973 ihr Stück „Rhythm 10“ präsentierte. Dies war im Grund eine Performance des Russian Game, bei dem die Spielerin schnellstmöglich mit einem Messer zwischen den gespreizten Fingern hin und her schlägt. All dies nahm sie per Video auf. Jedes Mal, wenn sie sich dabei verletzte, würde sie aus einer Reihe von insgesamt zwanzig Messern ein neues Instrument wählen und das Spiel wiederholen. Nach 20 Messerstichen würde Abramović sich die Videoaufnahme ansehen und versuchen, den vergangenen Ablauf exakt so zu imitieren. Mit dieser ersten bahnbrechenden Performancekunst ergründete sie einerseits den Rhythmus körperlicher Gesten sowie die Bewusstseinsformen der Darstellerin. Abramović sagte einst: „Sobald du einmal in das performative Bewusstsein eingetreten bist, kannst du deinen Körper dazu drängen, Dinge zu tun, die du normalerweise niemals tun würdest.“

Resümee

Die Gegenüberstellung von Pina Bauschs Tanztheater und Marina Abramovićs Performance Art zeigt, wie gegensätzlich die beiden Formen des zeitgenössischen Tanzes sein können. Während Tanztheater meist einer vorgegebenen Choreographie folgt, setzt Performance vornehmlich auf die Unvorhersehbarkeit des performativen Rituals. Außerdem ist Tanztheater in aller Regel weiterhin auf der Schaukastenbühne beheimatet – wenn dies auch absolut keine Prämisse ist – wohingegen Performances nach anderen Räumen streben. Dies kann, wie zum Beispiel im Falle angesehener Künstlerinnen wie Abramović, der Open Space einer Kunstgalerie sein oder aber auf offener Straße geschehen. Die Performance Arts sind so frei, dass sie nicht einmal Publikum verlangen. All dies liegt in den Händen der jeweiligen Künstlerinnen und Künstler.


Dir hat diese Lektion getaugt? Dann wirf jetzt einen neugierigen Blick auf die anderen Artikel unserer DFU-Reihe und mach dich schlau. Finde heraus, was die feinen Unterschiede zwischen Voguing und Waacking oder aber zwischen Musical und Musiktheater sind. Viele Veranstaltungen rund um Theater, Lesungen, Kulinarik und vielem mehr findest du übrigens auf dem Reservix-Portal. Und wenn du stets auf dem neuesten Stand bleiben möchtest, solltest du uns auf Facebook und Instagram abonnieren.

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Musa

Seit 2017 bin ich Teil des Reservix-Teams. Wenn ich nicht für das Ticketmagazin schreibe, verbringe ich im flackernden Kerzenschein einsame Stunden an meiner Schreibmaschine, um humanistische Liebesgedichte und Fanbriefe an Paul McCartney zu verfassen. Gerne auch zu einem Gläschen Malzbier.