7 Fragen an Schauspielerin Nini Stadlmann

Deutschland befindet sich seit Dezember 2020 im Lockdown 2.0. Theater- und Konzerthäuser sind sogar seit November dicht und ein nahes Ende der verschlossenen Pforten ist nicht abzusehen. Dass insbesondere selbstständige Künstlerinnen und Künstler um ihr Überleben in der Branche kämpfen, ist bekannt. Was machen zum Beispiel Tourneeschauspielerinnen?

Die wunderbare Nini Stadlmann ist eine von ihnen. Sie ist Schauspielerin, Musicaldarstellerin, Sängerin, Satirikerin, und und und. Während die Wienerin unter anderem mit der Posse „Himmlische Zeiten“ durch die deutschsprachigen Lande tourt, gibt sie parallel Konzerte oder satirische Musicals. Letzteres produziert sie seit 2009 zusammen mit dem Musikerkollegen Tom van Hasselt als das Duo Stammzellformation. Im Interview stellen wir 7 Fragen an das Multitalent.

1. Die wichtigste Frage vorab: Wie geht es dir im zweiten Voll-Lockdown?

Im ersten Lockdown war ich sehr aktiv, habe mich um eine Weiterbildung gekümmert, einen Fördergeldantrag für eine freie Theaterproduktion gestellt. Das getan, was ich sowieso als Schauspielerin in „Leerlaufzeiten“ tue. Im zweiten Lockdown verlangt einem die Unplanbarkeit sehr viel ab. Meine Verträge wurden auf 2022 verschoben oder ganz abgesagt, da in den Theatern ein riesiger Rückstau an Produktionen entstanden ist. Ich nutze jetzt die Zeit, um sehr viel über Themen, denen ich mich noch nie gewidmet habe, die aber spannende Inhalte für zukünftige Projekte bieten, zu recherchieren.

2. Normalerweise tourst du durch ganz Deutschland und Österreich. Schnell geht es von einem Theater zum nächsten. Wie lässt sich dein Beruf als Tournee-Schauspielerin während einer Pandemie überhaupt bewerkstelligen?

Wir waren im Oktober 2020, während der Pandemie, mit dem Stück „Himmlische Zeiten“ auf Tournee. Die Theater, die Hotels und Restaurants waren „hygienetechnisch“ unglaublich gut aufgestellt. Der Beruf ließ sich eigentlich sehr gut bewerkstelligen: Proben auf Abstand und mit Maske, regelmäßiges Testen, Fiebermessen jeden Morgen, und Kontakte gab es nur im engsten Kollegenkreis. Das hat grundsätzlich sehr gut funktioniert. Nun sind die Theater geschlossen, also ist dieser Teil des Berufes nicht ausübbar.

3. Wie kann man sich einen ’normalen‘ Arbeitstag im Tourneetheater vorstellen?

Nach dem Frühstück im Hotel fahren wir meistens gegen 9:00 Uhr zum nächsten Spielort. Im Bus habe ich viel Zeit zum Lesen. Nachdem wir das neue Hotel bezogen haben, sehen wir uns meistens die Sehenswürdigkeiten der Städte an. Es ist wirklich eine Bereicherung all die schönen Orte in der Schweiz, Österreich und Deutschland zu sehen, die man sonst wahrscheinlich nicht besuchen würde. Um 18:00 Uhr geht’s dann ins Theater. Dort stehen Einsingen, Maske, Soundcheck und eine kurze technische Einweisung auf dem Programm, da ja jede Bühne eine andere Größe hat. Nach der Vorstellung sprechen wir mit dem Publikum, erfüllen Autogrammwünsche und verkaufen CDs. Ich bin gespannt, wann das wieder möglich sein wird.

4. Backstage passiert sicherlich die ein oder andere erinnerungswürdige Story. Würdest du eine mit uns teilen?

2015 war ich mit „Höchste Zeit“ auf Tournee. In einer Stadt sagte man uns kurz vor der Show, dass der Vorhang eventuell nicht hochgeht, da die Halle ab dem nächsten Morgen als Heim für Geflüchtete genutzt werden sollte. Letztendlich durfte unsere Aufführung noch gespielt werden, danach wurde der Veranstaltungsort auf unbestimmte Zeit geschlossen. Wir stiegen in den Bus und sahen, wie unser Bühnenbild auf der einen Seite herausgetragen, und die Betten für Geflüchtete auf der anderen Seite hereingetragen wurden. Es war ein seltsames, ohnmächtiges Gefühl: Gerade spielen wir noch eine musikalische Komödie auf der Bühne für ein großes Publikum, gehen danach in unsere schönen Hotels, und am nächsten Tag kommen an diesen Ort so viele Menschen, die Traumatisches erlebt haben und in eine ungewisse Zukunft sehen. Ich war dankbar, dass ich in einem Land lebe, in dem Frieden herrscht.

Kunst sollte jedem Menschen innewohnen.

5. Mittlerweile haben sich Online Streamings als beliebte Alternative zu den ausbleibenden Konzerten, Inszenierungen, Lesungen, etc. etabliert. Wäre ein Streaming-Event auch was für dein Duo Stammzellformation?

Anfangs dachte ich, der Schauspieler schafft sich damit selbst ab. Jetzt gibt es die Kunst auch noch umsonst, während auf der anderen Seite Künstler um jeden Cent ihrer Gage kämpfen müssen. Für mich persönlich funktioniert Theater nur im Energieaustausch mit dem Publikum. Es ist nicht von einander zu trennen. Die Reaktionen beeinflussen die Darstellung des Künstlers. Man weiß heute, dass sich der Herzschlag der Menschen im Zuschauerraum bei einem Konzert synchronisiert. Ein Streaming-Event empfinde ich eher als Plattform zur Überbrückung, bis wir wieder live spielen können. Ähnlich wie der Lieferservice eines Restaurants.

6. Viele Theorien über das postpandemische Theater kursieren bereits. Was glaubst du, inwiefern verändert Corona die Kulturbranche längerfristig?

Im besten Fall wird durch die Abstinenz von Kunst ihre Relevanz ersichtlich. Das könnte dazu führen, dass die Kunst wieder mehr Einzug in das gesellschaftliche Leben erfährt. Dass z.B. jedes Kind ein Instrument in der Schule erlernt, so wie Rechnen und Schreiben. Dafür müsste die Politik aber eine klare Haltung zeigen. Im „Teil-Lockdown“ war ich doch sehr geschockt, über die Botschaft der Politik: Jeder Ein-Euro-Shop gilt wegen der Gummibärchen und Cola-Dosen an der Kasse als systemrelevant und darf geöffnet bleiben, während Theater und Museen als verzichtbares Freizeitvergnügen bezeichnet und geschlossen werden. Kunst sollte jedem Menschen innewohnen.

7. Der zähen Ungewissheit zum Trotz: Welche Pläne hast du für 2021?

Ich bereite zwei Stücke vor. „Herbst in New York“ ist die Uraufführung eines Schauspiels mit viel Live-Jazz, die Premiere ist für den späten Sommer in Planung. „Himmlische Zeiten“ soll im April und Oktober wieder auf Tournee gehen. Es wäre natürlich schön, wenn diese Aufführungen stattfinden. Im Förderprogramm „Neustart Kultur #takecare“ habe ich einen weiteren Antrag für ein Einzelprojekt gestellt.

Bonusfrage: Wenn du die Pandemie für einen Tag anhalten könntest, wie würdest du die 24 Stunden gestalten? Tagsüber Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen und abends Teil des Zaubers von Theater sein.

 

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Wusstest du? Neben ihrem Hauptberuf als Schauspielerin ist Nini Stadlmann auch Moderatorin und Solistin bei ORSO (Orchestra & Choral Society). Wer ORSO ist und was diese Kulturinstitution betreibt, erfährst du in unserem Interview mit dem künstlerischen Leiter: „9 Fragen an … ORSO“. Schau gerne mal vorbei!

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Musa

Seit 2017 bin ich Teil des Reservix-Teams. Wenn ich nicht für das Ticketmagazin schreibe, verbringe ich im flackernden Kerzenschein einsame Stunden an meiner Schreibmaschine, um humanistische Liebesgedichte und Fanbriefe an Paul McCartney zu verfassen. Gerne auch zu einem Gläschen Malzbier.